Ein Paukenschlag – emotional, musikalisch, szenisch – zur Eröffnung der neuen Spielzeit 2021/22 im Opernhaus Zürich! Nicht nur, weil das Publikum, 3-g, mit Maske und beim Einlass auch noch gecheckt, nach langer melomaner Abstinenz endlich wieder die Plätze im Haus am See einnehmen konnte. Weil das lange in den Probenraum verbannte Orchester endlich wieder im Graben spielen durfte. Weil die Stimmen, die Regie und das Bühnenbild grossartig waren. Und nicht zuletzt, weil Richard Strauss’ «Salome» mit ihrer geballten Ladung an Exzess und Ekstase auf dem Programm stand. Mithin jenes Werk, das auf einer Erzählung des Iren Oscar Wilde, Dichter der Décadence, basiert und das dem Komponisten anlässlich der Uraufführung in Dresden 1905 zum Durchbruch verholfen hatte.
Bilder: @ Opernhaus Zürich – Paul Leclaire
Im Zwielicht des Mondes
Da ist schon dieser fulminante Anfang in schwirrendem Cis-Dur, der quasi den Ton vorgibt. Und da ist auch gleich vom Mond, dem weiblichen Gestirn, die Rede. Seine Wanderung am nächtlichen Himmel begleitet den Stückverlauf. Der Erdtrabant wird immer wieder als menschliche – und besonders männliche! – Projektionsfläche ge- und missbraucht. Sein Licht legt sich als Omen des «Schrecklichen, das geschehen kann», über die Szene. Lässt die Schatten, mitunter auch die Silhouetten scharf, drohend und unheimlich hervortreten. Bühnenbildner Hartmut Meyer und Lichtgestalter Franck Evin arbeiten hier kongenial zusammen.
In Meyers Bühnenbild erscheint die Mondscheibe gleich zweimal: als flachliegende Sichel im Bühnenhimmel und als deren langsam kreisendes Ebenbild am Boden, wo sie zum leicht schiefstehendes Spielpodest auf der Drehbühne wird. Dazu wandert entlang dem Horizont ein eigenartiges Gebilde, aufgehängt an einem Haken: ein dräuender Mühlstein mit einem Loch im Zentrum? Oder das Pendel einer gigantischen Welt-Uhr? Die Symbolik erschliesst sich nicht, doch die latente Bedrohung ist spürbar. Linksseitig schiebt sich eine Art gezackte Gangway ins Bild: der Steg, der hinauf in die Gemächer des Palastes des Tetrachen führt. Eine untere Ebene der Gefängniszisterne gibt es nicht.
Das ergibt ein schlichtes, hochästhetisches, etwas unterkühltes Gesamtbild von geradezu surrealer Wirkung. Auf orientalische Exotismen oder dekorativen Art-Déco-Zierrat wird gänzlich verzichtet und so die Opulenz und das überhitzte Erregungspotenzial der Partitur raffiniert konterkariert. Dem entsprechen auch die Kostüme von Mechthild Seipel: satte, klare Farben, edle Stoffe, aber keiner expliziten Periode, keiner Ethnie zuzuordnen. Die gelben Overalls der Nazarener erinnern entfernt an Raumfahrer, die dunklen Anzüge der fünf Juden, alle mit Brille und hier – gemäss einer editorischen Randnotiz des Komponisten – zu einem Pulk von fünfzehn erweitert, an die uniformen Mitarbeiter der Zeit-Spar-Kasse aus Michael Endes «Momo».
Lauter perverse Leute
Die formal strengen Elemente stehen, wie gesagt, im spannungsvollen Widerspruch zur grausigen Tragödie, die in der präzisen Lesart des Regisseurs Andreas Homoki eine verstörende Mehrdeutigkeit erfährt. Das zeigt sich besonders im zwiespältigen Verhältnis zwischen der Prinzessin Salome und dem Propheten Jochanaan, einer Beziehung, welche die psychologische Kernfrage jeder Inszenierung darstellt. Vielleicht ist die von Strauss überlieferte Aussage in diesem Zusammenhang nicht unerheblich: Die auftretenden Figuren seien «lauter perverse Leute, und, nach meinem Geschmack, der perverseste der ganzen Gesellschaft ist – der Jochanaan».
So gibt denn Elena Stikhina keine laszive, überspannte Lolita. Sie ist vielmehr eine junge, selbstbewusste Frau, die für sich die Höhenflüge und Abgründe der Liebe, das Geheimnis von Anziehung und Abstossung erforscht und entdeckt. Sie legt sich bewusst mit dem männlichen Widerpart in Gestalt des Propheten an. Und wie sie dieses Spiel mit tödlichem Ausgang ausreizt, wie sie diese in mehrfacher Hinsicht mörderische Partie meistert, ist grandios. Scheinbar mühelos weiss sie die gesangliche Linie mit dem ekstatischen Ausbruch, das expressive Piano mit dem aufmüpfigen Impetus, die schwärmerische Hingabe mit der schroffen Forderung zu verbinden. Doch nicht nur ihre stimmlichen Mittel, auch die darstellerischen machen ihre Salome zum Ereignis, und nicht nur im berühmten Schleiertanz, der fast weniger erotische Verführung ist denn aufbegehrende Kampfansage an den lüsternen Stiefvater und Onkel.
Schon in seinem ersten Auftritt offenbart sich auch – siehe Zitat Strauss! – das zwielichtige Wesen des Täufers. Klug platzierte Irritationen in seinem Gebaren machen seine Ambivalenz deutlich. Dadurch erscheint er mitnichten als Gottesmann und abgeklärter Heiliger. Sein Schöngesang scheint Manöver, Manipulation. Vielleicht glaubt er, ganz im Stil religiöser Eiferer, mitunter selbst an seine Botschaft. Kostas Smoriginas jedenfalls verleiht seinem baritonalen Samtklang auch eifernde, geradezu heldische Intensität.
Wie er Narraboth – Mauro Peter mit leider nur kurzer, aber umso berührenderer Innigkeit – nach dessen Selbstmord den letzten Todesstoss gibt, ist sicherlich kaum durch christliche Nächstenliebe motiviert. Bevor er wieder in sein Verliess abtaucht, beantwortet er Salomes Begehren nicht nur mit wohlgesetzter Rede, sondern vergewaltigt sie zu den orgiastischen Klängen aus dem Orchestergraben. Zu Salomes Tanz bringt er auch die zuvor viel geschmähte Herodias in arge Bedrängnis. Einfach ein Scharlatan? Ein innerlich Zerrissener? Oder das realgewordene sexuelle Wunschbild einer jungen Frau? Die Regie bleibt die Antwort schuldig, und das ist gut so.
So macht es auch durchaus Sinn, dass Salome zum Schluss den Kopf des Täufers aufrechten Ganges von der Bühne trägt, derweil die Schlusssentenz des Herodes «Man töte dieses Weib!» wirkungslos verhallt. Wie das dezidiert gezeigte mehrdeutige Profil des Propheten ist auch dies ein kühner Eingriff ins Libretto, aber, nach allem, was geschah, ein plausibler. Vielleicht wäre das Bild noch stärker, wenn sie das Haupt zurücklassen, als existentielle Erfahrung hinter sich lassen würde?
Zurück bleibt die konsternierte Schar der Juden, angeführt von Iain Milne, Alejandro del Angel, Martin Zysset, Andrew Owens und Stanislav Vorobyov. Zurück bleibt auch das Herrscherpaar, das bittere, erschreckend realistische Bild eines in die Jahre gekommenen, zänkischen Ehepaars: Michaela Schuster mit sattem Mezzosopran als zwar giftelnde, aber räsonable Herodias und Tenor Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als prunkliebender, doch letztlich windiger Monarch – sinnigerweise bemächtigt sich Salome seines blauen Seidenmantels nach ihrem Tanz.
Wucht, Gewalt und – ein wenig Zärtlichkeit
Vollendet, unterstützt, überhöht werden die Leistungen auf der Bühne durch das orchestrale Feuer, das die erfahrene Strauss-Dirigentin Simone Young entfacht, in dem die Bläser als ungemein farbige und expressive Flammen lodern. Sie geht lautstärkenmässig mitunter an die Grenzen, aber nie darüber. Doch sie schafft es, die Klangmassen transparent und durchhörbar zu gestalten, sodass auch die Textverständlichkeit fast durchwegs gewährt ist.
Die berühmten Schauermomente, die die Strauss’sche Musik auszulösen vermag, hier werden sie fast zum Dauerzustand. Und knapp vor dem Ende erfahren sie noch eine weitere wunderbar anrührende Dimension: vielleicht einer der zartesten Momente in diesem grellen Schauerdrama: Der enthauptete Jochanaan tritt zu Salomes langem Schlussgesang nochmals als Vision auf und setzt sich neben die erschütterte Frau, die ihren Kopf zärtlich an seine Schulter bettet; ihr langer Monolog endet mit den Worten: «Und das Geheimnis der Liebe ist grösser als das Geheimnis des Todes...»
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