top of page

Nichts läuft rund, und doch ein rundes Ganzes

Zwar hätte sich Miika Nousiainens vergnügliches Buch «Quality Time» bestens als unbeschwerte Sommerlektüre in der Hängematte unter einem schattigen Baum geeignet. Da der vergangene Sommer ­­aus mindestens zwei Gründen – wenigstens hierzulande – keiner war, darf das Buch durchaus auch daheim aufm Sofa mit einer Tasse heisser Schokolade daneben genossen werden. Denn genüsslich liest sich die Schreibe des finnischen Bestsellerautors, der in Helsinki lebt, allemal. Nicht zuletzt dank der flüssigen Übersetzung von Elina Kritzokat.

Miika Nousiainen © Bild: Mira Kakao



Der Anfang ist allerdings nur bedingt lustig: «Mein Beileid», lautet der erste Satz des Textes. Wir sind an der Beerdigung des Vaters von Sami, einem der Hauptakteure. Doch schon bald wird eine andere Tonalität angeschlagen, die sich wie ein roter, besser: ein knallbunter Faden durch das ganze Buch zieht: ein lockerer, süffiger Erzählstil, mal gewürzt mit unterschwelliger Ironie, mal mit slapstickartiger Komik, mal mit ziemlich schrägem, skurrilem Humor.


Da wird zum Beispiel bereits auf der ersten Seite Samis Freundin Jenna erwähnt. Sie ist zwar nicht einmal anwesend, denn so weit sind die beiden offensichtlich noch nicht. Und Sami fragt sich, ob Familienfeten wie Hochzeiten und Taufen für die Angebetete – trotz gemeinsamer Reise nach Paris (!) und Besuchs eines Baumarkts – nicht infrage kommen. Bis zu einer gemeinsam durchgestandenen Beerdigung sei es wohl noch ein weiter Weg, muss er sich frustriert eingestehen. Und damit sind wir bei seinem zentralen Problem: Sami, der linkische Enddreissiger, sehnt sich, seit er zwanzig ist, nach «einer festen Beziehung mit Nachwuchsperspektive». Das bringt ihn in eine verzwickte Lage, als er aus Frust und Wut einem geparkten Motorrad einen Fusstritt verpasst, weil er die besagte Freundin mit einem Nebenbuhler davonbrausen sieht. Im Dominoeffekt stürzt eine ganze Reihe weiterer Roller um, was ihm gewaltigen Ärger mit der dazugehörigen Motorrad-Gang bringt, weil er auf der Flucht auch noch Portemonnaie und Ausweis verliert. Und die Herren Rocker sind nicht eben zimperlich bei ihren Nachstellungen, erweisen sich aber letztlich auch nicht als Unmenschen, indem sie ihn als Sühne für seine Untat zum Putzmann ihres Clublokals verknurren.


Später – nein, eigentlich bereits in der Eingangsszene des Romans lernen wir auch die weiteren Protagonisten dieser kurzweiligen Sitcom kennen; tatsächlich liest sich das Buch ein bisschen wie eine solche. Der Autor betitelt jedes Kapitel bzw. jede «Staffel» mit dem Namen eines Akteurs und schlüpft als Ich-Erzähler in die jeweilige Rolle. Diese unterschiedlichsten Sichtweisen, Lebensentwürfe und Erwartungshaltungen ergeben ein facettenreiches Bild der heutigen Gesellschaft – und wohl nicht nur der finnischen – mit Ihren Lüsten und Früsten. Eine Satire könnte man’s nennen, wenn nicht dazwischen auch durchaus melancholische, ernste Saiten anklingen würden. Jedenfalls ist und bleibt man durchs Band weg gespannt, wie’s weitergeht.


Da ist zunächst einmal Samis Schwester Hanna, zwar verheiratet, aber trotz ehelichem Bemühen ebenfalls kinderlos, was die Mutter der beiden, Asta, immer wieder zu nervigen Sprüchen und bohrender Nachfragen verleitet, zumal sie ja jetzt verwitwet ist und eine engagierte Hardcore-Oma abgeben würde.


Völlig konträr stellt sich die Situation bei Markus, einem alten Schulfreund, dar. Er ist alleinerziehender Vater dreier Mädchen – die Mutter leidet an einer bipolaren Störung und hat sich aus Überforderung ausgeklinkt. Aber auch er, Markus, ist oft am Rande des Zusammenbruchs, obwohl er sich redlich bemüht, ein guter Vater zu sein. Was er ja auch ist, selbst wenn er sich und seinen erzieherischen Effort dauernd in Frage stellt. Um den Nachstellungen der rachsüchtigen Gang zu entgehen, wohnt Sami vorübergehend bei Markus und seinen Kids und kriegt so eine Menge Familienalltag mit, was ihn aber von seinen Vaterwünschen keineswegs abbringt. Im Gegenteil, er gibt sich mit Markus’ Jüngster als alleinerziehender Vater aus, um auf dem Spielplatz alleinstehende Mütter anzuquatschen (Nick Hornby’s «About a Boy» zwinkert da zwischen den Zeilen). Das läuft natürlich ebenso schief, wie das Meiste, das Sami, aber auch die anderen Figuren tun. Oder besser lassen würden. Nobody’s perfect, aber alle irgendwie sympathisch; einzelne wachsen einem sogar fast ein wenig ans Herz.


Wie beispielsweise Kasimir Nojonen, der Dritte im Bunde und ebenfalls ein Kumpel von Sami und Markus. Für Kinder und Familie hat er gar keine Zeit, denn er pflegt seine schwerkranken, teils dementen Eltern. Dass er sich nach deren Tod ausgerechnet in die Mutter seines alten Freundes Sami verliebt, stösst diesem sauer auf – und wirkt im Fortgang der Geschichte etwas konstruiert, auch wenn diese Wendung etwas Rührendes hat.


Schliesslich geistert noch eine Bloggerin namens Vera durch das Geschehen, die mit ihren tiefschürfenden Ratschlägen die Welt bessern will, ihre eigene aber nicht auf die Reihe kriegt. Sie spiegelt sich und ihren Followern eine makellosen Ewige Liebe, eine makellose Familienidylle, eine makellos gesunde und umweltfreundliche Ernährung vor. Alles unter dem Label «Quality time», das dem Buch den Titel gab. Doch der subito viral gehende Seitensprung ihres Mannes entlarvt schliesslich alles als gigantische Selbst- und Fremdtäuschung. Nousiainen setzt Hanna, die inzwischen von ihrem Mann getrennt ist, als Ex-Followerin und mitfühlende Freundin ein, die den «Fall» mit vernünftigen, zwar flapsig formulierten, aber halt auch etwas moralisierenden Sentenzen begleitet.

Aufgesetzt wirken die letzten Kapitel, die – wer hätte das gedacht? – mit der Hochzeit von Sami und Suvi, die er an einer Demo kennengelernt hat, enden. Und natürlich noch mit ein paar weiteren Überraschungsmomenten, die hier nicht verraten sein sollen. Allerdings wird damit das Fuder etwas zu sehr beladen. Fazit dennoch: Ein kurzweiliges Lesevergnügen, das die Spannung bis (fast) zum Schluss aufrecht hält. Nicht der grosse literarische Wurf, aber gekonnte Unterhaltung mit Witz und Tempo. Gut zu schlürfen, wie eine Tasse heisser Schokolade. Mit einer luftigen Portion Schaum obendrauf.



KEIN & ABER, 2021 ISBN: 978-3-0369-5848-4




Weiter Beiträge finden sie unter INDEX

Comments


bottom of page