Andere Bezeichnungen für diesen euphemistischen Ausdruck sind Knast, Kittchen, Karzer, Kiste, Kerker... Wie man’s auch benennt, es sind nicht unbedingt Lokalitäten, die als Schauplatz einen entspannenden oder gar erheiternden Kinobesuch verheissen. Übrigens die Redewendung «schwedische Gardinen» sollen daher rühren, dass die Gitter der Gefängnisfenster früher aus schwedischem Stahl gefertigt waren, der als besonders hart und stabil galt. Und – zufällige Koinzidenz – die Handlung des Films basiert tatsächlich auf einem wahren Ereignis, das in einer schwedischen Strafvollzugsanstalt stattgefunden hat.1985 hatte der schwedische Autor, Schauspieler und Regisseur Jan Jönson im Gefängnis von Kumla Samuel Becketts Spiel «Warten auf Godot» mit einer Gruppe von Häftlingen einstudiert. Anlässlich der geplanten Aufführung in Göteborg machten sich die «Schauspieler» aus dem Staub. In der Folge dieser krassen Erfahrung hat Jönson einen Theatertext geschrieben, der in vielen Gefängnissen in Europa und den USA aufgeführt wurde.
Einiges von diesem realen Hintergrund erfährt man im Abspann des Films «Un triomphe». Vor allem wird da Beckett zitiert, der erklärt, dass seinem Stück nichts Besseres passieren konnte, als eben diese Flucht. Die Gefangenen haben aus dem passiven Warten ein aktives «à la recherche de Godot» gemacht. Haben, so könnte man es sehen, durch das Projekt eine innere Freiheit erlangt, auch wenn sie offenbar danach wieder geschnappt wurden.
Diese Vorgabe also nutzt nun der französische Filmemacher Emmanuel Courcol, der auch das Drehbuch verfasst hat, versetzt sie aber nach Frankreich, nach Lyon. Für Authentizität sorgt, dass er offenbar viele Szenen in einem realen Männergefängnis drehte, dem Centre pénitentiaire von Meaux–Chauconin, das rund 50 Kilometer nordwestlich von Paris liegt (ja, die Stadt von Brie und Senf!). Zu Beginn des Films begleiten wir Étienne, wie er durch diverse Sicherheitsschleusen die Haftanstalt betritt, eine ihm völlig fremde Welt.
Dieser Étienne, ein geschiedener, abgehalfterter Mittfünfziger, ist leidenschaftlicher Schauspieler, aber offenbar nicht – oder nicht mehr? – sehr erfolgreich. So übernimmt er, viel mehr der Not als dem inneren Trieb gehorchend, ein Angebot, im staatlichen Gefängnis vor Ort stellvertretend einen Theaterworkshop zu leiten.
Kunst und Kerker
Der geschilderte Einstieg in den Film ist ebenso simpel wie genial: Der Zuschauer wird gewissermassen von Anfang an miteinbezogen. Der Film verzichtet auf Kommentare, Erklärungen und Deutungen, er lässt gesellschaftskritische Betrachtungen fast gänzlich aussen vor, er verzichtet auf Überlegungen zu Art, Sinn und Zweck des Strafvollzugs, bietet keine hochtrabenden oder tiefsinnigen Reflektionen über Schuld und Sühne. (Der Zuschauer mag sich diese Fragen am Schluss dennoch stellen.) Zwar muss man aufgrund der komplexen Gebäudeanlage annehmen, dass es sich bei den Inhaftierten, denen wir im Laufe der Geschichte begegnen werden, um «schwere Jungs» handelt; ihre Delikte jedoch werden ausgespart. Dagegen geht es dem Regisseur offensichtlich um die feinstoffliche Begegnung zwischen unterschiedlichen Charakteren, die sich zu einer gemeinsamen Unternehmung zusammenraufen. Und dies im Spannungsfeld zweier sehr gegensätzlicher Welten – Theater und Gefängnis, Kunst und Kerker. Die Quadratur des Zirkels gelingt: Heiterer Ernst zeichnet diese Komödie aus, die auch die Nähe von Tragik, Melancholie und – im guten Sinne – Sentimentalität nicht scheut. Das forsche Tempo und die raschen Schnitte verleihen dem Streifen eine unerwartete Frische und Leichtigkeit, ohne deshalb die Schwere der Situation und die Rigidität der Lokalität zu verharmlosen. Prägnante, oft witzige Dialoge und knappe auf den Punkt gebrachte Szenen halten die Story am Laufen und sorgen für Spannung, was angesichts des eigentlich simplen Plots absolut erstaunlich ist.
Dass dies so schwerelos und unpathetisch gelingt, verdankt sich der exzellenten schauspielerischen Leistung aller Beteiligten, vorab natürlich derjenigen von Kad Merad in der Rolle des Étienne – man kennt den Schauspieler hierzulande als Postfilialleiter Philippe Abrams aus der leichtgewichtigen Komödie «Bienvenue chez les Ch'tis».
Natürlich stösst Étienne bei den Häftlingen erst mal auf Ablehnung und sogar Spott, als er sich als Schauspieler vorstellt – wäre er erfolgreich, wäre er nicht hier, feixen die Kerle, die bislang in ähnlichen Theaterkursen zur Erbauung mit den Fabeln von La Fontaine abgespeist wurden. Und als er ihnen gar Becketts Stück vorschlägt, sind sie nicht nur skeptisch, sondern irritiert: ein Stück ohne eigentliche «action»!? Was sol das? Stand-up-Comedy wäre ihnen sehr viel lieber. Doch Étienne überzeugt sie, dass genau dieses Stück absurdes Theater ihre Situation perfekt widerspiegle: Warten, warten, warten... Das schliesslich leuchtet den hartgesottenen Typen ein, und wenn der Autor zudem ein Nobelpreisträger ist, könnte ja doch was dran sein.
Damit sind die ersten Hürden zwar genommen, aber noch längst nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Neben privaten Problemen mit seiner Tochter muss sich Étienne auch gegen die zwar verständnisvolle, aber gegenüber der Strafjustiz verantwortlichen Gefängnisdirektorin (mit einer überzeugenden Mischung von Charme und Power: Marina Hands) durchsetzen, um Zeit und Raum für sein Unterfangen herauszuschinden, beispielsweise Ausgang für sein Team, um in einem echten Theater zu proben. Anlass zu Konflikten bieten ebenso die Wärter, die wenig Verständnis für das in ihren Augen überflüssige Projekt haben und auf die Durchsetzung von Zucht und Ordnung pochen. Schliesslich gibt es auch unter den Insassen selbst Eifersüchteleien und Spannungen. Die grösste Herausforderung aber sind Étiennes Schützlinge selbst, die sich mit dem Verstehen, Lernen und Sprechen eines literarischen Textes schwertun. Hier kommt die ausserordentliche schauspielerische Leistung aller ganz besonders zum Tragen: David Alaya, Lamine Cissokho, Sofian Khammes, Pierre Lottin und Wabinlé Nabié spielen die Rollen der zum Teil illiteraten Gefangenen derart echt und gekonnt, dass man mitunter glaubt, echte Laienschauspieler vor sich zu haben, ein Eindruck, der – trotz darstellerischer Potenz –bisweilen fast den Eindruck eines Dok-Films erweckt.
Ebenso berührend wie komisch
Ohne dass wir – wie gesagt – ihre kriminelle Karriere kennen, wachsen uns die abgebrühten Delinquenten ans Herz, wir ahnen hinter der rauen Schale auch Emotionen und Verletzlichkeit. Ganz besonders deutlich – und für uns Zuschauer ebenso berührend wie komisch! – wird dies, als die Premiere im öffentlichen Theater stattfindet, wo die Kaltblütigkeit, mit der wohl schon manches Ding gedreht wurde, jäh in Lampenfieber und blanke Angst vor einem Textblackout umkippt und einzelne der gestandenen Gauner wie zitternde Eleven mit Gewalt auf die Bühne geschubst werden müssen. Allen Hindernissen zum Trotz wird die Aufführung zum riesigen Erfolg. Die frischgebackenen Stars sind trunken vom Applaus, aber die Gefängniswärter holen sie rasch wieder auf den Boden der Realität zurück. Bald jedoch folgen Angebote für Aufführungen in weiteren Theatern in der Provinz. Die Truppe tingelt durch Frankreich, Étienne als Coach und Seelsorger immer mit dabei. Und immer auch angespannt und besorgt, dass keines seiner Schäflein ausbüxt.
Und doch, als ein Auftritt im «Odéon» in Paris ansteht, passiert es. Bei seinem Rundgang durch die Theatergarderoben findet Étienne seine Schar vollzählig, geschminkt, kostümiert und schon merklich souveräner. Als sich der Vorhang hebt und Estragon, unter dem Baum sitzend, sich mühsam seinen Schuh vom Fuss zerren soll: «Rien à faire» – da bleibt die Bühne leer...
Étienne bleibt nichts Anderes übrig, als vor den Vorhang zu treten und dem Publikum – darunter auch die Justizministerin – die Situation zu erklären. Für ihn eine persönliche Schlappe und Vertrauenskrise, aber auch eine Gelegenheit zu einem berührenden Plädoyer für das Zusammenwirken von Theater und Realität. Mag seine Rede auch eine Spur zu lang geraten sein, sie macht nicht nur Étiennes Engagement und Sympathie für seine abtrünnigen Schützlinge deutlich, sie ist letztlich auch eine bitter-süsse Hommage an die schöpferische Kraft des Theaters, ans befreiende Spiel, an die Kunst überhaupt.
Damit lässt «Un triomphe» das Genre des Feelgood-Movies entschieden hinter sich.
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Ich hab gerade den Film gesehen. Er scheint mehrere Ebenen und mehrere Abschnitte zu haben. Aber die Rede am Schluss war für mich nicht eine Spur zu lang geraten. Ich habe gelacht, aber auch geweint - ein toller Film ohne gestelztes Theater!