Ein märchenhaftes Rezept
«Es war einmal», sagte die Köchin zum Küchenjungen, als sie, im Korb 800 Gramm frisches Lachsfilet und vier Büschel Schnittlauch, vom Markt zurückkehrte. «Es war einmal», sagte sie, «eine Prinzessin mit Namen Cibouletta».
Illustration: Edith Schindler
Mit diesen Worten schob sie dem Jungen den Schnittlauch zum Waschen und Schnetzeln hin. Sie pellte den Fisch aus dem Papier und fing zu erzählen an: «Hübsch und schlank war das holde Kind, dabei aber kapriziös und eigensinnig. Verwöhnt nach Strich und Faden von den Eltern, dem Herrn Papa, Seiner Majestät, Roi Porro d’Allium dem Ersten, und der guten Königin Schalotta. Er hochgewachsen, etwas steif, einfältig und sehr auf Etikette bedacht. Sie, eine Geborene Cepa, beleibt, vielschichtig und gefühlvoll bis hin zu plötzlichen Tränengüssen. Beide stammten sie aus dem ehrwürdigen Geschlecht der Liliaceae, führten somit die blaue Lilie im Wappen. Nichts konnten die vernarrten Eltern ihrem einzigen Töchterchen abschlagen. Straflos durfte es den alten Minister de Betterave am rötlichen Bart zupfen, kokett dem dicklichen Kämmerer Conte Pomo d’Oro den Kopf verdrehen oder die betuliche Hofdame Lady Cauliflower weiss und grün ärgern. Und selbst wenn sie zum Hofball mit einer lila Igel-Punkfrisur erschien, die nachsichtigen Eltern lächelten milde verzeihend.
Zahllos waren die Freier, die sich um Cibouletten scharten; jedem erteilte sie eine Abfuhr: dem Count of Garlic ebenso wie dem Duc d’Asperge, obwohl beide ebenfalls aus dem Haus der Lilienblütigen stammten. Doch eines Tages stand am Palastportal ein Ritter im bläulichen Schuppenpanzer, auf seinem Schilde prangte ein silberner Fisch.»
Die Köchin hielt inne und trennte das Lachsfilet mit sicherem Schnitt der Breite nach in zwei gleichgroße Stücke, ehe sie weiterfuhr: «Don Salmone del Pesce, so hiess der stramme Junker, begehrte nichts weniger als Cibouletta zur Frau. Es kicherten die Erbsen, es keiften die Kefen, Hofrat Wirz krauste die Stirn. Doch Cibouletta gab sich gelassen; mit einem unlösbaren Rätsel würde sie den ungebetenen Freier genauso abblitzen lassen wie alle anderen zuvor. Sie zwängte sich also in das hautenge, grüne, sexy Kleid, das ihr so gut stand, sprayte sich eine lila Strähne ins Haar und trat keck vor den Fremden.Toller Hecht, dachte sie bei sich, ließ sich jedoch nichts anmerken und stellte die bedeutsame Frage, die sie allen Freiern stellte. Und die keiner je hatte beantworten können.
‹Auf Vaters Tisch,
da liegt ein Fisch, nicht gesotten, nicht gebraten, nicht gegart; sag’ mir denn: Auf welche Art?›
Don Salmone klappte den Mund auf und wieder zu, liess ein paar Gedankenblasen steigen, räusperte sich und …»
Doch bevor die Köchin weiter erzählte, würzte sie die beiden Filetstücke, mit Salz und weissem Pfeffer und bestrich sie beidseitig mit etwas Worcester-Sauce. Dann durfte der Gehilfe die eine Filethälfte dick mit Schnittlauch beschichten, die Köchin klappte die zweite Filethälfte darauf und nahm den Faden der Geschichte wieder auf: «Nachdem Don Salmone die atemlose Stille eine gute Weile ausgekostet hatte, liess er sich also vernehmen
‹Gebacken ward der Fisch, und zwar in einem Bett aus Teig!›
Cibouletta erbebte, als sie diese Antwort Junker Salmones vernahm. Der Kerl sah also nicht nur hinreißend aus, er war ebenso klug und würde zweifellos auch sonst seinen Mann stellen, kulinarisch und so...
Der König vergaß für einmal seinen liliaceischen Standesdünkel und liess ein grandioses Hochzeitsfest rüsten. Die Königin jedoch, die sich wie alle Müttter schon lange auf Enkelkinder gefreut hatte, wies die Zofen unter Tränen der Rührung an, das eheliche Lager für die kommende Nacht mit feinstem weißem Blätterteig zu beziehen…»
Und ebenso schlug die Köchin die Filettranche sorgfältig in ein Stück ausgewallten Blätterteig, drückte die Nahtstellen fest und stach das Teigpaket mit der Gabel ein paarmal ein. Dann wies sie den Jungen an, die Pastete mit Eigelb zu bepinseln. Darauf schob sie den Lachs im Teig in die vorgeheizte Röhre, wo sie ihn bei 200 Grad auf der zweituntersten Rille während 25 Minuten goldgelb werden liess.
Doch was in jener Nacht geschah, verschwieg die weise Köchin im Hinblick auf die erwachenden Männerphantasien ihres jugendlichen Gehülfen. Vielmehr gab sie ihm mit dem Kochlöffel eins hinten drauf, als er sich neugierig vors Ofenloch beugte, um unverfroren ins heisse Dunkel zu spähen...
Für 6 Personen: Lachsfilet (ca. 800 Gr.), 4 Bund frischer Schnittlauch, Teig, rechteckig ausgewallt, Eigelb zum Bepinseln, Salz, Pfeffer, Worcestersauce zum Würzen
Beilage: frischer Salat oder lauwarmer Gemüsesalat, evt. Sauerrahm mit Dillspitzen.
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