top of page

Der Hölle Rache(n)...

Mit Verdis «Il trovatore» präsentiert Gianandrea Noseda seine glühende Visitenkarte als Operndirigent.

In meinen Reisenotizen findet sich eine Eintrittskarte, die ein skurriles Bild zeigt: ein riesiger steinerner Kopf mit weit aufgerissenem Mund. Es ist die Bocca dell’ Orco, der Orkusschlund, eine der monumentalen Sehenswürdigkeiten des Sacro Bosco. In einem waldigen Tal ausserhalb der Stadt Bomarzo, gut zwanzig Kilometer östlich von Viterbo, hatte um 1650 ein spleeniger Feudalherr die steingewordene Fabelwelt errichten lassen.

Dieser Orsini-Spross, ebenso Feldherr wie Künstler und Anarchist, war ein Bewunderer von Petrarca, Tasso und Ariost, jenen Dichtern also, die in ihren Werken die Hohe Zeit des Rittertums heraufbeschworen hatten. Mithin die Blütezeit der Trouvères und Trobadors. Verdi und seine Librettisten Salvadore [sic] Cammarano und Leone Emanuel Bardare verlegten das spanische Schauerdrama nach einem Theaterstück des Spaniers Antonio Garcia Gutiérrez – mehr historisierend als historisch – ins Jahr 1409; die Ära der altfranzösischen Minnesänger war jedoch fast hundert Jahren zuvor bereits zu Ende gegangen.


Zugegeben, ein etwas ausschweifender Einstieg zu einem Opernbericht. Doch an jenes Bild des Höllenrachens – ob es just derjenige aus Bomarzo ist, bleibe dahingestellt – erinnert der Zwischenvorhang der aktuellen Produktion im Opernhaus Zürich. Er zeigt eine grässliche Fratze mit geblähten Nüstern, gefasst von einem Bilderrahmen, auf dem der Titel «Mi vendica» als leitmotivische Überschrift zu lesen ist. Noch ist das Maul des alles verschlingenden Monsters geschlossen. Doch schon zum dritten Trommelwirbel des düster-geheimnisvollen Anfangs von Verdis «Il trovatore» heben und senken sich die Lefzen der Bestie, lassen die Reisszähne sehen. Sie geben auch den Blick frei auf eine monumentale Treppe, die den Einheitsschauplatz bildet für die acht Tableaus der 1853 in Rom uraufgeführten Erfolgsoper. Dieser klaffenden Abyss, ein Bild von dantesker Grösse, den die Ausstatterin Annemarie Woods geschaffen hat, könnte trefflicher nicht sein: ein höllischer Albtraum für alle Beteiligten, ja selbst für die Regisseure, die sich oft so redlich wie erfolglos bemühen, Stringenz und Plausibilität in den als unsinnig verschrienen Plot zu bringen.

Kruder Plot, überzeugend erzählt

Doch ist dieser gar nicht so schwer zu fassen, so man sich darauf einlässt: Graf Luna und Trovator Manrico, Brüder, ohne es zu wissen, buhlen um die Liebe der gleichen Frau, Leonora. Doch sie liebt natürlich den tenoralen Manrico. Dieser wurde als Säugling von der Zigeunerin Azucena aus seinem gräflichen Elternhaus geraubt als Rache für ihre Mutter, die als Hexe zum Flammentod verurteilt wurde. In einem Moment geistiger Verwirrung hat Azucena jedoch ihren eigenen Sohn ins Feuer geworfen und den geraubten Grafensohn an Kindesstatt aufgezogen. Manrico wird schliesslich von seinem Rivalen und Bruder, dem Grafen Luna, gefangen genommen und soll zusammen mit der Zigeunerin sterben. Als Preis für die Begnadigung des Geliebten, willigt Leonora in die Heirat mit Luna ein, trinkt jedoch heimlich Gift, um sich der erzwungenen Verbindung zu entziehen. In der letzten Szene – zu spät – klärt Azucena den Grafen auf: «Er war dein Bruder!»


Ungeachtet aller Wenn und Aber dieser kruden Geschichte (und dem Theaterinstinkt Verdis) vertrauen – diesen Zugang hat die walisische Regisseurin Adele Thomas, die sich noch gar nicht allzu lange mit der Gattung Oper befasst und erstmals in Zürich inszeniert, gewählt: energiegeladen, klug durchdacht, bühnenwirksam und im besten Sinne unterhaltsam – so dies angesichts der grausigen Geschehnisse überhaupt zulässig ist. Doch scheint gerade dies eine Qualität, die man dem angelsächsischen Umgang mit Literatur und Bühnenkunst immer wieder attestieren muss: ein wohltuend unverkrampfter Umgang mit den unterschiedlichsten Stilebenen, die Grauen und Komik nahtlos vereinen.

Man brauche mindestens vier Augenpaare, um alles zu erfassen, lässt sich Thomas im Programmheft zitieren, denn bei ihrem Regiekonzept habe sie die rätselhaften «Wimmelbilder» des Hieronymus Bosch mit ihren Ungeheuern und Chimären vor Augen gehabt. Sie beschwört mit ihrer Arbeit aber ebenso shakespeareschen Geist, und genau das dürfte wohl Verdi (auch er ein Bewunderer des Elisabethaners) an diesem Stoff fasziniert haben: Eine geradezu wuchernde «Varietà» verschiedenster Emotionen und Situationen, die sich in seinem neuartigen musikdramatischen Konzept niederschlagen hat.


Doch die Regie lässt es nicht bei blossen optischen Effekten bewenden; sie wird Teil der musikalischen Partitur. Alle Protagonisten und namentlich der exzellente Chor agieren in perfektem Timing in und mit der Musik: Schrecken, Wut, Gewalt oder Verzweiflung werden bildhaft, ja, geradezu greifbar.

Dämonie und Magie

Unterstrichen wird diese elementare Wucht durch fünf gehörnte Fabelwesen mit Krallenfüssen, dargestellt von äusserst agilen Tänzern (Manuel von Arx, Martin Durrmann, Steven Forster, Francesco Guglielmino, Tomasz Robak), die als dämonische Gaukler oder Saltimbanques die Szene ironisieren, aufheizen, konterkarieren. Durch ihr akrobatisches Treiben bekommt die Szenerie etwas von den mittelalterlichen Jeux, den weltlichen Spielen, die sich aus den weihevollen Osterspielen, Moralités und Miracles biblischen Inhalts herleiten und aus der Kirche auf den – oftmals getreppten! – Vorplatz oder Portikus der Kirche verlagert wurden.

Theatermagie, mitunter sogar fast etwas Comic-Artiges verbreiten auch die fantasievollen Kostüme, lassen sie doch augenzwinkernde Anspielungen an Monty Pythons Gralsrunde erkennen. Oder an die Paladine um Roland & Co der sizilianischen Pupi. Grandios überzeichnet die Soldateska mit ihren Tellerhelmen, ihren Schildern, die für raffiniert choreografierte Auftritte genutzt werden; bildhaft die Nonnen, die ihren Heiligschein gleich mit sich tragen! Und wenn zu Azucenas schauerlicher Erzählung gemalte Pappwolken wie in einem barocken Theater über der Szene dräuen, wenn zum «Leidensduett» bei der Vermählung Leonores und Manricos eine stilisierte Sonne über dem Paar erstrahlt, dann ist das volles, saftiges Theater. Theater, das sich am Feuer der Musik entzündet.


Funkensprühender Orchestergraben

Die Glut am Lodern und Züngeln erhält der neue Mann am Dirigentenpult der Philharmonia Zürich, die er bereits zu seinem Orchester gemacht hat; die enthusiastisch geschwenkten Instrumentenbögen im Graben zum Schlussapplaus zeugen jedenfalls von künstlerischer, aber wohl auch menschlicher Übereinstimmung. Das überreiche Farbspektrum, die hauchzarten und umso suggestiveren Piani, die geschärften Akzente, sie alle zeigen wie prägnant und kontrastreich Verdi hier komponiert hat; sie zeigen auch wie bedachtsam und gleichzeitig energetisch Maestro Gianandrea Noseda das Orchester zum gleichwertigen Partner der Stimmen macht. Diese ihrerseits bestätigen das tradierte Bonmot von Caruso, die vokale Besetzung des «Trovatore» sei einfach: man brauche dazu nur die vier weltbesten Sänger zu engagieren! Sei’s drum. Zuvor seien indes die hervorragend besetzten kleineren Rollen genannt: Robert Pomakov als hinterhältiger Hauptmann Ferrando, Bozena Bujnicka als anmutige Zofe Ines, Omer Kobiljak als loyaler Freund Ruiz.

Marina Rebeka bezaubert mit innigem Timbre und lyrischer Emphase, mit weitgespannter Kantilene und funkelnden Koloraturen. Piotr Beczala wechselt mühelos vom schmachtenden Sentiment zum kämpferischen Impetus; mit tenoraler Brillanz meistert er die berühmte Stretta ebenso wie er zu schlichter, anrührender Sensibilität im Duett mit Azucena findet. Quinn Kelsey als Graf Luna im lächerlichen rosa Wams mit entflammtem Votivherzen auf der Brust gibt keinen klassischen Bösewicht. Vielmehr lässt er die Tragik dieser Figur aufscheinen, geknechtet durch Sippenloyalität, gekränkt durch Zurückweisung, getrieben von Rachsucht. Dieser Zwiespalt spiegelt sich in seiner Tongebung, erst in der Romanze lässt er seine Stimme in anrührend reinen Tönen strömen, was seine Verletzlichkeit, seine Versehrtheit erahnen lässt. So könnte es möglicherweise ein zwar nicht ganz nachvollziehbarer, aber bewusster Regieentscheid sein, dass er es ist, der seinen den niedergerungenen Bruder Manrico im Duell aus einer spontanen Eingebung heraus schont, und nicht umgekehrt, wie es das Libretto eigentlich vorgibt?


Verdi soll mit dem Gedanken gespielt haben, die Oper nach Azucena zu betiteln, einer der äusserst seltenen Mutterfiguren in seinem Œuvre. Die grossartige Agnieszka Rehlis lotet die schillernde Gestalt der Zigeunerin, Täterin und Opfer zugleich, mit facettenreichem Mezzosopran bis in tiefst seelischen Regungen aus – auch sie eine Zerrissene zwischen Mutterliebe zum Ziehsohn und Liebe zur eigenen Mutter, deren Tod sie rächen will, rächen muss.

So bleibt am Schluss der verstörende Anblick Ferrandos, der das abgeschlagene Haupt Manricos in die Höhe reckt. Und der Höllenschlund mit dem furchterregenden Gebiss klappt zu... Viel Applaus, gemischt mit ein paar schüchternen Buhrufen.

Bilder: © OHZ – Monika Rittershaus



Weiter Beiträge finden sie unter INDEX

Comments


bottom of page