Diesen Titel habe ich aus Hugo Wolfs «Italienischem Liederbuch» nach Texten von Paul Heyse geborgt, und, auch wenn er im vorliegenden Konzert nicht vorkommt, würde er doch sehr wohl auf jenen Liederabend passen, der noch immer nachklingt, obwohl er bereits eine Woche zurückliegt. Dennoch wär’s schade, nicht über das wunderbare Rezital zu berichten, das der Tenor Mauro Peter mit seinem Duopartner Helmut Deutsch im Opernhaus Zürich vorgestellt hat. Aber vielleicht nehmen die beiden das Programm irgendwann wieder auf; bald, ist zu hoffen, denn es sind Lieder, die einem jugendlichen Sänger, einem lyrischen Tenor ideal entsprechen.
Mauro Peter (Bild: © Franziska Schroedinger)
Wie, warum und wann die beiden das Programm konzipiert haben, ist nicht bekannt. Doch scheint es fast, als wollten sie damit einen Kontrapunkt zur dunklen Jahreszeit setzen, wird da doch nicht selten von Frühling gesungen, und von Liebe, der hoffnungsfrohen und der schüchternen, der zweifelsbangen und der nicht erwiderten... Vielleicht sollte sogar zur gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Grundstimmung ein Gegengewicht gesetzt werden – mit heiteren, gelassenen, zum Teil fast verspielten Liedern?
Helmut Deutsch (Bild: @ Shirley Suarez)
Jedenfalls hat der Luzerner Sänger Stücke gewählt, die man zwar fast alle kennt, die aber den Weg aufs Konzertpodium eher selten finden und etwas im Schatten der grossen Liedzyklen stehen. Allesamt sind es Lieder, die eine sogenannt «leichte Stimmgebung» erfordern, was keinesfalls mit leichtgewichtig gleichzusetzen ist. Oder nochmals anders ausgedrückt: Der Sänger stellte einen Liederstrauss zusammen, der, statt um pathetische Emphase, abgrundtiefe Seelenpein oder existenzielle Not, um die kleinen feinen Empfindungen und Gefühle kreiste. (Dass der Sänger jedoch auch das Ausloten dunklerer, tieferer Emotionen meisterlich beherrscht, hat er unter anderem mit seiner Interpretation von Hans Zehnders Überschreibung der schubertschen «Winterreise» bewiesen, zu der Christian Spuck 2019 eine geheimnisvoll-verstörende Bildwelt choreografiert hat; auf DVD vorliegend.)
Beethoven und Wolf
Zu hören waren also Werke von Komponisten, die den deutschen Liedschatz mit wunderbaren Miniaturen bereichert haben, in deren Œuvre das Liedschaffen jedoch nicht an zentraler Stelle stand – mit Ausnahme, natürlich, von Hugo Wolf (1860–1903). Diesem galt denn auch die erste Liedgruppe im zweiten Teil nach der Pause, alles Vertonungen von Gedichten Eduard Mörikes, wie man überhaupt Mörike – zwar auch von Schumann, Brahms, Reger oder Schoeck vertont – in erster Linie mit Wolf in Verbindung bringt; stammen doch von dessen rund 300 Liedern allein 53 aus Mörikes Feder, ohne indes einen geschlossenen Zyklus zu bilden. Ihrer Erstausgabe von 1889 soll der Komponist bezeichnenderweise auch nicht sein eigenes Portrait, sondern dasjenige des Dichters vorangestellt haben! Entstanden sind die Mörike-Lieder zwischen Februar und November 1888, offenbar in einem ungeahnten Schaffensrausch, manchmal zwei, einmal sogar drei am selben Tag! Aus diesem reichen Schatz hat Mauro Peter eine Anzahl Lieder ausgewählt, deren verbindende Klammer die verhaltene Poesie, das geheimnisvolle Ahnen ebenso wie das wehmütige Erinnern darstellt, aber auch den sublimierten (Liebes-)Schmerz und den feinen Humor. Erlebnislyrik in subtil variierter Form, etwa «Auf einer Wanderung» oder im «Jägerlied», im berühmten Frühlingslied «Er ist’s» oder im doppelsinnig-scherzhaften «Der Knabe und das Immelein». Mauro Peter besticht nicht nur durch seinen hellen, ausgezeichnet fokussierten Tenor, er – in künstlerischer Gleichgestimmtheit mit dem einfühlsamen Partner Helmut Deutsch am Flügel – besitzt auch die für den Liedvortrag unabdingbare Gabe des Geschichten-Erzählens.
Den Anfang des Abends machten fünf Lieder von Ludwig van Beethoven (1770–1827), der rund neunzig Werke zu diesem Genre geschaffen hat, darunter den Zyklus «An die ferne Geliebte», bestehend aus sechs Gesängen, der als erste zusammenhängende Liedsammlung gilt (1816). Mag sich Beethovens genialischer Impetus auch eher in anderen Gattungen manifestieren, so handelt es sich bei seinem Liedschaffen doch um reizvolle intime Bekenntnisse, obgleich sie sängerischer Bravour vielleicht etwas weniger Stoff bieten. Doch auch hier manifestierte sich Peters beherzte Darstellungskunst. Er findet immer einen genuinen Zugang zum emotionalen Kern der Komposition – ob im ungestüm vorwärtsdrängenden Impetus von «Neue Liebe, neues Leben» oder im lustvoll festgehaltenen Schmerz «Wonne der Wehmut», der in sublimstem Piano endet, beide auf Texte von Goethe. Oder auch, ganz zu Beginn, im berühmten Lied «Adelaide» (Text: Friedrich von Matthisson), von dem der mitunter nicht umzimperliche reaktionäre Kritiker Eduard Hanslick meinte, es sei «das einzige Lied von Beethoven, dessen Verlust eine Lücke in dem Gemütsleben unserer Nation hinterlassen würde». Die beiden Künstler schaffen es, uns sofort in Bann zu ziehen, einerseits mit dem differenziert ausgestalteten, von Strophe zu Strophe wechselnden Klavierpart, andererseits mit der unterschiedlichen Farbgebung der Singstimme, gipfelnd in der Anrufung des Namens der Angebeteten, die am Ende jeder Strophe in einem anderen Licht erscheint – schwärmerisch, empfindsam bis leidenschaftlich arios.
Mendelssohn und Mozart
Die folgende Gruppe war Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847) gewidmet, auch er ein nicht allzu bekannter Liedkomponist, obwohl er rund hundert Kompositionen für Singstimme mit Klavierbegleitung schrieb. Viele davon waren wohl eher als Gaben für Freunde und Bekannte gedacht, also eher für den Vortrag dilettierender Musikfreunde im intimen Rahmen denn für den Konzertsaal. Peter und Deutsch nehmen sich dieser romantischen Preziosen mit Sorgfalt und Delikatesse an. Auch hier bestätigte sich das bereits Gesagte. Ergänzend, ebenfalls für den ganzen Abend gültig, muss auch die untadelige Diktion des Sängers erwähnt werden – geht es hier ja nicht um Mendelssohns «Lieder ohne Worte»! Dem Sänger gelingt es scheinbar mühelos, eine deklamatorische Spur zu legen, die sich organisch mit der kantablen Linie verbindet, woraus eine ideale Textverständlichkeit resultiert, was wiederum dem Abend einen weiteren literarischen Genuss verschafft. Und mitunter auch schmunzeln lässt, zumal das ganze Spektrum romantischen Vokabulars wie Blümchen, Vögel, Elfen, Mond und Meer usw. evoziert wird. Denn schliesslich finden sich unter den vertonten Dichtern auch illustre Vertreter der Romantik wie Lenau, Byron, Eichendorff, Geibel und Heine.
Den Abschluss bildeten – ebenfalls kaum im Konzertsaal zu hören, und wenn, dann eher von Frauen – vier Lieder von W. A. Mozart (1756–1791). Auch ihnen eignet, mit Ausnahme der etwas steifen Freimauerkantate, der Charakter der liebenswürdigen Gelegenheits- und Gebrauchskompositionen. Da ist das berühmte «Veilchen» nach dem Goethe-Text, das von der unachtsamen Schäferin zertreten wird und sich noch im Sterben zu deren Füssen freut. Da ist die wundersame «Abendempfindung» mit ihrer wiegenden Begleitung und der exquisiten chromatischen Färbung. Da ist das Frühlingslied «Erwacht zu neuem Leben» und das frivole «An Chloë», was eine diskrete, aber unmissverständliche Schilderung eines Liebesakts darstellt, Klimax in Gestalt einer Generalpause und anschliessende Ermattung inklusive – Die beiden Interpreten erwiesen sich auch hier als gleichberechtigte Partner: perlendes, atmendes Klavierspiel und kluge, unangestrengte vokale Gestaltung – mozartisch!
Man darf Mauro Peter und Helmut Deutsch zu Recht als eines der interessantesten Lied-Duos der Gegenwart bezeichnen; ein Generationen überspannendes zudem. Sinnigerweise widmeten die kongenialen Musiker jedem der vier Komponisten eine eigene Zugabe. Zu hören waren: Mendelssohns entzückendes «Frühlingslied» (auf einen Text von Heine) mit dem Gruss an die Rose. Beethovens «Der Kuss», der von Chloë erzählt, die zu schreien droht, wenn der Sänger sie küsst – sie tut’s, aber lange, lange, lange hinterher. Mozarts doppeldeutig-moralisierender Rat, Zuckerplätzchen und Mädchen einzusperren, denn «Männer suchen stets zu naschen». Und schliesslich Wolfs «Verborgenheit», was die Abkehr vom Getriebe der Welt und die Ambivalenz von Wonne und Pein beschreibt.
Die beiden Interpreten verstanden es, dem auf den ersten Blick disparaten und nicht chronologisch aufgebauten Liedprogramm eine überzeugende Gesamtsicht zu verleihen: Delikate, zumeist heitere Petitessen grosser Meister, ein raffiniertes Clair-obscur der verhaltenen Heiterkeit, überschattet mitunter von einem melancholischen (Tränen-)Schleier...
19.11.2022 (Rezital: 07.11.2022)
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Mich entzückt auch diese Rezension! Der herorragende Liederabend klang gerade wieder wunderschön nach!
Danke!
R.K.
Danke einmal mehr für diese wunderschöne Rezension. Es ist wie immer ein Vergnügen, das zu lesen, schon nur die Sprache, aber natürlich auch der Inhalt!
U. S.